René Magritte und das Internet

Kaum ein Künstler hat die eigenen Motive so oft variiert wie René Magritte. Hört man seinen Namen, denkt man unweigerlich an den Apfel, die Rose, die Pfeife, Wolken. Im Internet, besonders in den sozialen Netzwerken, erfreut sich Magritte besonderer Beliebtheit. Man hält sich einen Apfel vor das Gesicht – wahlweise als Emoticon über das Bild gelegt -, verhüllt seinen Kopf in weißen Stoff oder inszeniert Katzen freistehend vor wolkigem Himmel. Hashtag: #renemagritte. Auf Tumblr vergnügt man sich an der Absurdität von Magrittes Bildwelten und findet in ihnen ein Pendant zu eigenen Bildideen. So zum Beispiel bei „The Drop of Water“ von 1948, das einen mit kristallinen Steinen beklebten Frauentorso zeigt.

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Links: René Magritte, The Drop of Water, 1948; rechts: Jennifer Medina

Es ist wohl kein Zufall, dass sich das Bekleben mit Stickern, Steinen oder (Abzieh-)Tattoos gegenwärtig besonders großer Beliebtheit erfreut. Bilder, die diese Praktik zeigen, sind deshalb so ein populäres Motiv der sozialen Netzwerke, weil sie sich einfach nachstellen lassen. Genauso wie der Apfel, der schnell vor das Gesicht gehalten ist. Es sind starke und einprägsame Bildkombinationen, die nicht zuletzt aufgrund ihrer zugänglichen Pointen auch bis heute von der Werbung aufgegriffen werden.

Womöglich blieb daher auch lange Zeit eine mit Salvador Dalí oder Max Ernst vergleichbare Rezeption des Werkes von Magritte in Deutschland aus. Zu wenig intellektuell, zu nah an der Trivialkultur. „[T]rotz massenhaften Verkaufs von Plakaten nach seinen Bildern“, heißt es in einer Monographie von 1996, erhielt Magritte im Vergleich zu anderen Surrealisten nur wenig Aufmerksamkeit. [1] Dabei versuchte man Magritte seit den siebziger Jahren aus dem Schatten seiner Zeitgenossen herauszuholen. „Lange verstellte der scheinbare Rückschritt des belgischen Malers hinter die von Cézanne eingeleiteten Entwicklungen der modernen Kunst den Blick“, beginnt Uwe M. Schneede seine Magritte-Monografie von 1978. [2] Wenn man den Bildern Magrittes schon keine formalen Überschreitungen zusprechen könne, so Schneede, hätte dieser doch (ideen-)geschichtlich viel geleistet. Trotzdem: als die Kunsthalle München René Magritte 1987/88 eine Retrospektive widmete, wurde sein Werk bis dahin in Deutschland in gerade einmal zwei umfassenden Ausstellungen gezeigt: 1969 von der Kestner-Gesellschaft in Hannover und 1982 vom Kunstverein in Hamburg.

Erst durch die Sprachphilosophie und deren Adaption durch die Bildwissenschaft wurde Magritte rehabilitiert. Nun galt er sogar als Prototyp des intellektuellen Künstlers. Sah die frühe Rezeption Magritte nahezu ausschließlich als Maler von Träumen oder dem Unbewussten, wurde er plötzlich zum Maler von Wahrnehmungstheorien, Sprach- und Bildphilosophien. Nirgendwo schien sich eindeutiger und prägnanter eine Reflexion auf Bildhaftigkeit zu vollziehen. René Magrittes „La conditione humaine“ von 1933 identifizierte Gottfried Boehm in „Die Bilderfrage“ schliesslich als bestes Beispiel „für das, was wir die ‚Selbstreflexion‘ des Bildes“ nennen. [3]
Gernot Böhme interessiert sich in seiner „Theorie des Bildes“ noch für einen anderen Aspekt, der wiederum auf Magrittes Tätigkeiten in der Werbeindustrie abzielt. Für Böhme stellen Bilder wie „Ceci n’est pas une pipe“ von 1929 nicht nur die Frage, in welchem Verhältnis das Bild einer Pfeife zu dem tatsächlich Gegenstand steht. Sondern es situiert sich auch an der Grenze von Kunst und Nicht-Kunst. [4] Adaptiert es nämlich formal die Werbeästhetik, kann es inhaltlich als Selbstreflexion der modernen Kunst im Sinne des Ready-Made verstanden werden (ermöglicht durch die Frage Duchamps: ist das Pissoir ein Pissoir oder ein Kunstwerk?).

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Links: René Magritte für ein Werbeplakat 1969; rechts: René Magritte, Der Kuss, 1951

Tatsächlich machte Magritte, was seine Motive betrifft, keinen großen Unterschied zwischen Bildern, die aus Werbezwecken zigfach reproduziert wurden, und für die Galerie bestimmte Gemälde und Zeichnungen. Es sind immer wieder neu variierte Vögel, Wolken oder surreale Arrangements. Magritte war sich wohl bewusst, dass gerade jene Bilder, die sich mit der Beziehung von Bild und Text beschäftigen, nicht den gleichen Werkanspruch besitzen wie ein großformatiges Gemälde, etwa „Der bedrohte Mörder“ von 1926. So bemerkt er nicht ohne Ironie am Ende eines Briefes an Michel Foucault, dessen „Ordnung der Dinge“ Magritte an seine eigenen Bilder erinnert haben mag, die beigelegten Reproduktionen stammen von Bildern, „die ich gemacht habe, ohne in der Malerei nach Originalität zu suchen.“ [5]

Originalität war ein zentraler Bestandteil des aus der Moderne stammenden Werkbegriffs, der schon viel hinterfragt wurde, aber sich erst in der Gegenwart aufzulösen scheint. Dazu hat in vielerlei Hinsicht das Internet beigetragen, wo sich gerade Kunstwerke neu behaupten und zum Teil auch neue Funktionen annehmen müssen. Denn dort haben die Werke der Kunst einen anderen Status, gesellen sich doch zahlreiche Bilder der Trivialkultur an ihre Seite und haben sie dort einen großen Teil an zufälligen Betrachtern, die sie nicht mit dem Vorzeichen der Kunst anschauen. Die im 20. Jahrhundert seitens der frühen Kunst- und späteren Bildwissenschaft gestellte Frage, was Kunst von anderen Bildern oder Gegenständen unseres – Reinhard Brandt nannte es – Weltkontinuums unterscheidet, stellt sich neu. [6] Nicht, weil sich der Anspruch an das Kunstmachen oder deren Ausführung verändert hätte, sondern vor allem, weil die Rezeption eine andere ist. Nämlich insofern, als sie sich – gerade in den sozialen Netzwerken – immer weniger von der anderer Bilder unterscheidet. Aus Kunstwerken macht man genauso Meme und Mash-Ups wie aus einer drittklassigen Hobby-Fotografie.

Dennoch gibt es weiterhin Klassifizierungen und Hierarchien. Doch verändern sich diese zusehends, so sehr, dass man sogar von einer neuen Kanon-Bildung sprechen kann. Im Internet herrschen nämlich andere Erfolgskriterien als auf dem Kunstmarkt. Und auch wenn man argumentieren möchte, dort gäbe es ein anderes, weniger einflussreiches Publikum, das weder Wissen noch Macht hätte, um den kunstgeschichtlichen Kanon zu beeinflussen, zeigen Beispiele der jüngsten Vergangenheit das Gegenteil. Prominente kaufen millionenschwere Kunstwerke, weil sie diese auf Instagram gesehen haben, und ein Kunstkritiker wie Jerry Saltz gibt längst in Vergessenheit geratenen Kunstwerken auf Facebook oder Twitter eine Chance, wieder gesehen und rezipiert zu werden.

Im Internet, speziell in den sozialen Netzwerken, sind jene Bilder erfolgreich, die einfach und zugänglich sind sowie zu einer Rezeption anregen, die nun nicht mehr passiv, sondern aktiv ist. Bilder, die man gut nachstellen kann. Motive, die sich zum umcodieren eignen. Dabei kann gelten: je weniger abgeschlossen – werkschwer – ein Kunstwerk ist, desto ungehemmter wird es für die eigenen Belange übernommen.

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Diverse Variationen des Apfel-Motivs von René Magritte.

Aus diesem Grund erlebt René Magritte gegenwärtig eine neue Karriere. Seine Bilder operierten schon früh mit einfachen Motiven. Diese haben damals trivial angemutet – eine Monographie von 1977 teilt das Werk Magrittes sogar lediglich in Bildgegenstände wie „Äpfel“ oder „Vögel“ ein [7]-, heute entsprechen sie jedoch allen Kriterien für ein im Internet erfolgreiches Bild. Das liegt daran, dass Magritte selbst bereits aus den eigenen Motiven Mash-Ups, wenn man möchte auch frühe Meme gemacht hat. Der Apfel diente ihm beispielsweise für ganz unterschiedliche Kontexte und Bedeutungen. Schwebt dieser einmal ganz leicht vor dem Gesicht eines Mannes, wird er im nächsten Bild zu einem großen schweren Stein in der Landschaft. Die Variation der Motive in einer Vielzahl an Arbeiten verhindert somit die Wirkung eines abgeschlossenen Kunstwerk, das fertig und unantastbar, also werkschwer, ist. Vielmehr birgt es die Möglichkeit immer weiterer Variationen in sich. Insofern besitzen die Bilder Magrittes eine Kick-Off-Qualität, die sich dadurch auszeichnet, dass das bestehende Bild oder Motiv den Startschuss für neue Bilder und neue Bedeutungen gibt.

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Neuinszenierungen von René Magrittes „Der Sohn des Mannes“ von 1964 in den sozialen Netzwerken.

So entstanden anlässlich von „Der Sohn des Mannes“ von 1964 zahlreiche Neuinszenierungen in den sozialen Netzwerken. Besonders populäre Motive, wie die verhüllten Gesichter von „The Lovers“ von 1928, lassen manchmal in den trivialsten Situationen an Magritte denken, zum Beispiel unter der Dusche, ein anderes Mal dienen sie als gekonnte Hommage aus der Modeindustrie.

 

Magritte behauptet sich gegenwärtig also zurecht gerade dort, wo Kunst und Nicht-Kunst so radikal miteinander konfrontiert werden. Dort, wo eine treffende Pointe, sei sie auch noch so intuitiv, viel wert ist. Wo der Kontext nicht fester Bestandteil des Kunstwerks ist – oder ihm diesen Status sogar erst verleiht -, sondern eine flexible Komponente. Magritte ist sogar so stark mit der Ästhetik und Motivwelt des Internets verschmolzen, dass man manchmal gar nicht mehr genau weiß, ob es sich bei einem bestimmten Bild um das von Magritte handelt oder von jemanden, der nur so ähnliche surreale Konstellationen macht.

Interessanter Weise verwirklicht sich darin etwas, das Magritte einst mit seinen Bildern zu kommunizieren versuchte: Bedeutungen sind zwar konventionell gebunden, aber eigentlich frei und austauschbar.

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Was ist hier von Magritte?

 

Notes:

[1]  Didier OttingerVolkmar EssersPierre Sterck: Rene´Magritte. Die Kunst der Konversation. München 1996. S. 8.

[2] Uwe M. Schneede: René Magritte. Leben und Werk. Köln 1978. S. 7.

[3] Gottfried Boehm: Die Bilderfrage.  In: DERS. (Hrsg.): Was ist ein Bild. Paderborn 2003. S. 332.

[4] Gernot Böhme: Theorie des Bildes. Paderborn 1999. S. 48.

[5] Michel Foucault: Dies ist keine Pfeife. München 1974. S. 56.

[6] Reinhard Brandt: Die Wirklichkeit des Bildes: Sehen und Erkennen – Vom Spiegel zum Kunstbild. München 1999.

[7] Harry Torczyner: René Magritte. Zeichen und Bilder. Köln 1977.

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Links: René Magritte, The Ready-made Bouquet, 1957; rechts: fatcatart

5 Antworten zu „René Magritte und das Internet”.

  1. Immer wieder schön in diesem Kontext: https://www.youtube.com/watch?v=ARAp0OHksZ8 Wenn auch schon ein etwas älterer Hut …

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  2. […] frisch, so gut „René Magritt und das Internet“, in: so frisch so gut, 17/01/2016. URL: https://sofrischsogut.wordpress.com/2016/01/17/rene-magritte-und-das-internet/ [Letzter Zugriff: 22.1.2015]. Eine Besprechung von #VanGoYourself bei: Angelika Schoder, […]

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  3. […] Kritik, die auf den Vorwurf der Entfremdung abzielt? Oder reiht es sich in die unzähligen Internet-Mem-Variationen von Magritte-Bildern ein und ist demnach als ironischer Kommentar zur Netz-Kommunikation zu verstehen? Handelt es sich […]

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  4. […] besser zu solchen aktiven Aneignungen disponiert sind (Matisse statt Picasso, Munch statt Beckmann, Magritte statt […]

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  5. […] im Werk von René Magritte als auch in zahlreichen Bildern in den sozialen Netzwerken auffindbar. Schon an anderer Stelle auf sofrischsogut wurde die Verwandtschaft von Magrittes Bildsprache zu jene…. Doch auch Giorgio De Chirico bietet sich zum Vergleich an. Beide Künstler haben innerhalb ihres […]

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